1. Wie seht ihr selbst den mächtigen Schatten
der „Terrorgruppe“, der aufgrund eurer musikalischen Biografien
fast zeitgleich mit „The Bottrops“ in Verbindung gebracht
wird? Eher als Fluch oder als Segen? |
B.B.B.: Für mich als alten Terrorgruppefan
ist das natürlich toll. Was die sogenannte "Eigenständigkeit"
angeht, macht es das ganze natürlich für uns ein wenig schwieriger.
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J.B.:Manchmal ärgert es uns sehr, wenn wir
als "Ex-Terrorgruppe" bezeichnet werden, da würde "Ex-Terrorgruppe/Xarecrows"
vielleicht besser passen, noch besser "Feat. Ex-Members von Terrorgruppe
& Xarecrows", das beschreibt es am besten.
Wir machen ja auch ein bisschen andere Musik und Texte.
Aber in spätestens 30-40 Jahren wird niemand mehr von dieser
"Terrorgruppe" sprechen, dann fallen auch alle "Ex-so-und-so"
Kürzel weg. Wir müssen das nur ein bisschen aussitzen! (haha) |
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2. Andere Punkbands, deren Mitglieder euren Alters
sind, lösen sich auf, werben für Katzenfutter oder bleiben
zusammen und spielen nur noch schlechte Songs. Ihr hingegen startet
mit eurem neuen Album voll durch! Bestimmt der Punk immer noch zu
100% euer Lebensgefühl oder seid ihr so gut, weil ihr mittlerweile
das ganze Szene-Denken aus einer gelasseneren Perspektive eher distanziert
mitverfolgen könnt? |
B.B.B.: Weil unser Leben aus Punkrock besteht,
bestimmt wohl das zu 100% unser Dasein. Und das mit der Werbung tut
mir für die Leid, die sowas machen müssen, um der Kohle
hinterherzurennen. Wenn man allerdings zu 1000% hinter einem zu bewerbenden
Produkt steht (zm Beispiel Sternie, Hörgeräte und Windeln
für Opapunks ect.) sollte das schon in Ordnung gehen, um seinen
eigenen Konsum (welch böses Wort) zu finanzieren. |
J.B.: Es gibt ja garnicht DIE eine Punkszene sondern
mindestens ein Dutzend Unterszenen aus D-Punk, Garagen-Punk, Crust,
SkateCore, Streetpunk/Oi!, 77-Punk, Hardmod-Soulpunk, Skapunk, Wave-Punk,
Metal-Punk.... Wir fühlen uns da wohl am ehesten der Garagen-/Skate-und
77-Ecke zugeneigt, aber das wir jetzt unser ganzes Leben nur an einer
Szene orientieren? Weiss ja nicht. Nööö, dafür
ist die Welt viel zu gross und zu bunt. Je älter man wird, umso
mehr entdeckt man und umso offener wird man für andere Einflüsse.
Insofern sind wir tatsächlich ein bisschen "abgeklärter"
und "distanzierter" als ein junger Deutschpunk-Kiddie. Es
gibt soviel zu entdecken. Aber das Wort "Punkrock als Lebensgefühl"
trifft den Nagel schon auf dem Kopf bei dem was die Bottrops so treiben:
Selber machen, sich selbst organisieren, nicht abhängig sein
von Konzernen und Managern, mit wenig Mitteln und Budgets alles erreichen
und vor allem das grosse ganze Weltsystem, dieses grosse Quatschsystem,
die uns alle umgebende Matrix aus Propaganda, Lüge und Ausbeutung
ab und zu hinterfragen und durchschauen, zumindest mal zu versuchen
es zu durchschauen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen. |
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3. Eure neue CD trägt den englischsprachigen
Titel „Entertainment Overkill“, wobei die auf dem Album
vertreten Songs ausschließlich deutschsprachig sind. Ein bewusster
Stilbruch? |
B.B.B.: Stilbruch it super! War aber eigentlich
gar nicht so beabsichtigt. |
J.B.: Nee, sowohl "Entertainment" als
auch "Overkill" sind ja auch ganz selbstverständliche
deutsche Begriffe in der Medien- und Economy-Speake.
Genauso wie in der Atom-Speake eine Mülldeponie zum "Entsorgungspark"
wird. Eigentlich sollte auf diese Platte auch mal ein englischer Song
kommen, haben wir aber vergessen einzuüben. |
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4. Wie schon der Titel, so schlagen auch die Songtexte
zumeist sehr gesellschafts-kritische Töne an. Versucht ihr eigentlich
bewusst die Menschen, die 9live und Co. als ihren einizigen Lebensinhalt
verstehen, wach zu rütteln oder setzt ihr lieber auf die noch
leichter zu beeinflussenden Jugendlichen, die sowieso für eure
Musik empfänglicher sind? |
B.B.B.: "Beeinflussung" ist eins der
schlimmsten Dinge, die es gibt. Sowas machen Medien, Politiker und
andere Institutionen. Wir machen nur was wir wollen und denken. Ausserdem
glaube ich kaum, dass das typische 9live publikum wirklich weiss wer
wir sind. |
J.B.: Sagen wir mal so, ich setzte gerne auf "Aufklärung"
bei den Texten. Mit ein paar wenigen Zeilen und Wortspielen die gesamten
letzten 3000 Jahre der Geschichtsschreibung hinterfragen wie bei "Die
Grossen der Geschichte" oder mit ein paar richtigen Fragestellungen
dieses Geschwätz von "Unser Land" , "Du bist Deutschland"
oder "Unsere Herausforderungen der nächsten Jahre"
bloss stellen, zum Beispiel bei "Eure Probleme" oder "Opfer
Müssen Verzichten Können" , und ebenso das Kriegsgeschrei
der Medien bei "Kamera läuft". Ich denke, wenn man
Leute "aufklären" will, dann sollte man in der heutigen
Entertainment-SMS-Klingelton-Web-Community-überladenen Zeit einfach
mal die ganz grundlegenden Themen aufarbeiten, nicht die Tagespolitik
oder "die Scheiss-Bullen"-Standarts. Lieber die richtigen
Fragen stellen zu Themen wie "Die" und "Wir",
Oben und Unten, Propaganda und Wahrheit, mit ein paar einfachen Sätzen
und Reimen. |
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5. Bei „H.W.E.N.“ (Hitler war ein
Nazi) prangert ihr meines Erachtens die massen-mediale Dauervermarktung
des Österreichers an. Wie würdet ihr selbst, wenn ihr an
den zentralen Schaltstellen sitzen oder als Geschichtslehrer arbeiten
würdet, mit dem Thema umgehen? |
J.B.: Ganz einfach: Nicht ständig irgendwelche
Promo- und Werbe-Clips von Nazi-Filmern verwenden, und auch keine
Star-Fotos von irgendwelchen NS-Hof-Fotografen, und das alles mit
dem Alibi der "Aufklärung". Es gibt ja auch ganz anderes
Material von 1933 bis 39, gefilmt und fotografiert von Auslandsreportern
aus USA, England oder der Sowjetunion. |
6. Mein persönlicher Favorit ist „Der
Stau“, der den Hörer eingänglich in die triste Alltagswelt
eines Berufspendlers hineinversetzt. Ist das die neue (inoffizielle)
Hymne für Berlin, wo täglich Hunderttausende zur Arbeit
pendeln? |
J.B.: Dazu müsste der Song ja jeden Tag um
7.00 oder 16.00 bei RBB, RS2 und Spreeradio laufen, tut er aber leider
nicht. Schade. Da laufen immer nur "die grössten Hits aus
den 70ern, 80ern und 90ern", jeden Tag dasselbe. |
7. Neben euren Songs gefällt mir auch das
außergewöhnlich gestaltete Booklet von „Entertainmet
Overkill“. In ihm befinden sich, neben Comic-Zeichnungen und
den Songtexten, noch Kurzgeschichten zu den einzelnen Liedern, die
von eher unbekannten Szene-Literaten verfasst wurden. Wie kam es zu
dieser Idee? |
J.B.:Unser Bassist Slashie hatte die Idee bei
einem seiner Party-Abende in den Kreuzberger Lieblingskneipen. Es
ist nämlich so, dass die Freundin vom Wirt von einer der 6 Bars
eine angesagte Schreiberin und Slam-Poetin oder so ähnlich ist.
Und so wurde dann sehr schnell weitergesponnen, zu jedem Lied eine
andere Geschichte von eimen anderen Schreiber , dazu ein Bild von
jeweils einem Comic-Zeichner... Schnell wurde daraus ein Projekt mit
25 oder 30 Bildern und Geschichten. Dummerweise waren aber unsere
eigenen Connections schon nach 8 oder 9 Literaten und Zeichnern abgeschöpft,
zum Glück haben uns dann Leute aus dem Umfeld von OX- und Punkerknacker-Fanzine
weitergeholfen. |
B.B.B: CDs sind etwas für Sammler und wenn
man eine CD anbietet, sollte man auch drumherum was Tolles anbieten.
Nicht nur ´ne Hülle mit Cover und Tonträger. Dann
lade ich mir lieber die Musik umsonst runter und den meisten anderen
wird es wohl genauso gehen. Also haben wir überlegt, was eine
interessante Ergänzung für den Fan und Sammler sein könnte.
Und das ist das Ergebnis. |
8. Schon mal daran gedacht, eine „musikalische
Lesereise“ zu veranstalten? |
J.B.: Bloss nicht! Bisher haben es ja nochnichtmal
die Hälfte der Literaten und Zeichner zu unseren Konzerten geschafft,
obwohl sie ausdrücklich ihr Erscheinen angekündigt hatten.
Wie soll es da jemand schaffen 25 von denen auf einen Haufen und in
einem Tourbus zu versammeln? Eher putzt Günther Grass die Klos
im SO36. |
B.B.B.: ...und wir selber als Vorleser? Vorraussetzung
für sowas wäre ja erstmal das Lesen bzw. Vorlesen ausreichend
zu beherrschen und für mich kommt das nicht in Frage, haha! Reisen
finde ich aber prinzipiell toll. Vielleicht würde ich dafür
sogar Vorlesen üben. |
9. Wenn man „Entertainment Overkill“
als Gesamtkunstwerk betrachtet, kann man sich des Eindrucks nicht
verwehren, dass ihr mit dieser CD möglicherweise selbst ein Teil
dieses von euch angeprangerten „Systems“ seid. Wie begegnet
ihr diesem Vorwurf? |
J.B.: Wir sind Kultur! Keine Action-News und Quatsch-Entertainment,
kein Sponsoring durch Telekom, BMW und O2, nur gefördert durch
einen "Kulturtopf für neue Musik". Und die Tipps und
Kurzgeschichten im Booklet enthalten auch noch ein paar nützliche
Hinweise zum Weiterstöbern in Büchereien und Videotheken |