ven im Interview mit The Bottrops
INTERVIEW - mit The Bottros

Sven im Interview mit The Bottrops

Wie Phönix aus der „Terrorgruppe-Asche“ entstiegen “The Bottrops”, welche bereits drei Jahre nach ihrer Gründung zur Avantgarde des deutschsprachigen Punkrocks zählen. Was auch immer das heißen mag, versuche ich mithilfe meiner investigativen journalistischen Fähigkeiten und- falls das nichts bringen sollte- mit den „humanen“ Methoden der Vietcong aus meinen Interviewpartnern Bang Bang Benno & Johnny Bottrop herauszukitzeln.


1. Wie seht ihr selbst den mächtigen Schatten der „Terrorgruppe“, der aufgrund eurer musikalischen Biografien fast zeitgleich mit „The Bottrops“ in Verbindung gebracht wird? Eher als Fluch oder als Segen?
B.B.B.: Für mich als alten Terrorgruppefan ist das natürlich toll. Was die sogenannte "Eigenständigkeit" angeht, macht es das ganze natürlich für uns ein wenig schwieriger.
J.B.:Manchmal ärgert es uns sehr, wenn wir als "Ex-Terrorgruppe" bezeichnet werden, da würde "Ex-Terrorgruppe/Xarecrows" vielleicht besser passen, noch besser "Feat. Ex-Members von Terrorgruppe & Xarecrows", das beschreibt es am besten.
Wir machen ja auch ein bisschen andere Musik und Texte.
Aber in spätestens 30-40 Jahren wird niemand mehr von dieser "Terrorgruppe" sprechen, dann fallen auch alle "Ex-so-und-so" Kürzel weg. Wir müssen das nur ein bisschen aussitzen! (haha)
2. Andere Punkbands, deren Mitglieder euren Alters sind, lösen sich auf, werben für Katzenfutter oder bleiben zusammen und spielen nur noch schlechte Songs. Ihr hingegen startet mit eurem neuen Album voll durch! Bestimmt der Punk immer noch zu 100% euer Lebensgefühl oder seid ihr so gut, weil ihr mittlerweile das ganze Szene-Denken aus einer gelasseneren Perspektive eher distanziert mitverfolgen könnt?
B.B.B.: Weil unser Leben aus Punkrock besteht, bestimmt wohl das zu 100% unser Dasein. Und das mit der Werbung tut mir für die Leid, die sowas machen müssen, um der Kohle hinterherzurennen. Wenn man allerdings zu 1000% hinter einem zu bewerbenden Produkt steht (zm Beispiel Sternie, Hörgeräte und Windeln für Opapunks ect.) sollte das schon in Ordnung gehen, um seinen eigenen Konsum (welch böses Wort) zu finanzieren.
J.B.: Es gibt ja garnicht DIE eine Punkszene sondern mindestens ein Dutzend Unterszenen aus D-Punk, Garagen-Punk, Crust, SkateCore, Streetpunk/Oi!, 77-Punk, Hardmod-Soulpunk, Skapunk, Wave-Punk, Metal-Punk.... Wir fühlen uns da wohl am ehesten der Garagen-/Skate-und 77-Ecke zugeneigt, aber das wir jetzt unser ganzes Leben nur an einer Szene orientieren? Weiss ja nicht. Nööö, dafür ist die Welt viel zu gross und zu bunt. Je älter man wird, umso mehr entdeckt man und umso offener wird man für andere Einflüsse. Insofern sind wir tatsächlich ein bisschen "abgeklärter" und "distanzierter" als ein junger Deutschpunk-Kiddie. Es gibt soviel zu entdecken. Aber das Wort "Punkrock als Lebensgefühl" trifft den Nagel schon auf dem Kopf bei dem was die Bottrops so treiben: Selber machen, sich selbst organisieren, nicht abhängig sein von Konzernen und Managern, mit wenig Mitteln und Budgets alles erreichen und vor allem das grosse ganze Weltsystem, dieses grosse Quatschsystem, die uns alle umgebende Matrix aus Propaganda, Lüge und Ausbeutung ab und zu hinterfragen und durchschauen, zumindest mal zu versuchen es zu durchschauen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
3. Eure neue CD trägt den englischsprachigen Titel „Entertainment Overkill“, wobei die auf dem Album vertreten Songs ausschließlich deutschsprachig sind. Ein bewusster Stilbruch?
B.B.B.: Stilbruch it super! War aber eigentlich gar nicht so beabsichtigt.
J.B.: Nee, sowohl "Entertainment" als auch "Overkill" sind ja auch ganz selbstverständliche deutsche Begriffe in der Medien- und Economy-Speake.
Genauso wie in der Atom-Speake eine Mülldeponie zum "Entsorgungspark" wird. Eigentlich sollte auf diese Platte auch mal ein englischer Song kommen, haben wir aber vergessen einzuüben.
4. Wie schon der Titel, so schlagen auch die Songtexte zumeist sehr gesellschafts-kritische Töne an. Versucht ihr eigentlich bewusst die Menschen, die 9live und Co. als ihren einizigen Lebensinhalt verstehen, wach zu rütteln oder setzt ihr lieber auf die noch leichter zu beeinflussenden Jugendlichen, die sowieso für eure Musik empfänglicher sind?
B.B.B.: "Beeinflussung" ist eins der schlimmsten Dinge, die es gibt. Sowas machen Medien, Politiker und andere Institutionen. Wir machen nur was wir wollen und denken. Ausserdem glaube ich kaum, dass das typische 9live publikum wirklich weiss wer wir sind.
J.B.: Sagen wir mal so, ich setzte gerne auf "Aufklärung" bei den Texten. Mit ein paar wenigen Zeilen und Wortspielen die gesamten letzten 3000 Jahre der Geschichtsschreibung hinterfragen wie bei "Die Grossen der Geschichte" oder mit ein paar richtigen Fragestellungen dieses Geschwätz von "Unser Land" , "Du bist Deutschland" oder "Unsere Herausforderungen der nächsten Jahre" bloss stellen, zum Beispiel bei "Eure Probleme" oder "Opfer Müssen Verzichten Können" , und ebenso das Kriegsgeschrei der Medien bei "Kamera läuft". Ich denke, wenn man Leute "aufklären" will, dann sollte man in der heutigen Entertainment-SMS-Klingelton-Web-Community-überladenen Zeit einfach mal die ganz grundlegenden Themen aufarbeiten, nicht die Tagespolitik oder "die Scheiss-Bullen"-Standarts. Lieber die richtigen Fragen stellen zu Themen wie "Die" und "Wir", Oben und Unten, Propaganda und Wahrheit, mit ein paar einfachen Sätzen und Reimen.
5. Bei „H.W.E.N.“ (Hitler war ein Nazi) prangert ihr meines Erachtens die massen-mediale Dauervermarktung des Österreichers an. Wie würdet ihr selbst, wenn ihr an den zentralen Schaltstellen sitzen oder als Geschichtslehrer arbeiten würdet, mit dem Thema umgehen?
J.B.: Ganz einfach: Nicht ständig irgendwelche Promo- und Werbe-Clips von Nazi-Filmern verwenden, und auch keine Star-Fotos von irgendwelchen NS-Hof-Fotografen, und das alles mit dem Alibi der "Aufklärung". Es gibt ja auch ganz anderes Material von 1933 bis 39, gefilmt und fotografiert von Auslandsreportern aus USA, England oder der Sowjetunion.
6. Mein persönlicher Favorit ist „Der Stau“, der den Hörer eingänglich in die triste Alltagswelt eines Berufspendlers hineinversetzt. Ist das die neue (inoffizielle) Hymne für Berlin, wo täglich Hunderttausende zur Arbeit pendeln?
J.B.: Dazu müsste der Song ja jeden Tag um 7.00 oder 16.00 bei RBB, RS2 und Spreeradio laufen, tut er aber leider nicht. Schade. Da laufen immer nur "die grössten Hits aus den 70ern, 80ern und 90ern", jeden Tag dasselbe.
7. Neben euren Songs gefällt mir auch das außergewöhnlich gestaltete Booklet von „Entertainmet Overkill“. In ihm befinden sich, neben Comic-Zeichnungen und den Songtexten, noch Kurzgeschichten zu den einzelnen Liedern, die von eher unbekannten Szene-Literaten verfasst wurden. Wie kam es zu dieser Idee?
J.B.:Unser Bassist Slashie hatte die Idee bei einem seiner Party-Abende in den Kreuzberger Lieblingskneipen. Es ist nämlich so, dass die Freundin vom Wirt von einer der 6 Bars eine angesagte Schreiberin und Slam-Poetin oder so ähnlich ist. Und so wurde dann sehr schnell weitergesponnen, zu jedem Lied eine andere Geschichte von eimen anderen Schreiber , dazu ein Bild von jeweils einem Comic-Zeichner... Schnell wurde daraus ein Projekt mit 25 oder 30 Bildern und Geschichten. Dummerweise waren aber unsere eigenen Connections schon nach 8 oder 9 Literaten und Zeichnern abgeschöpft, zum Glück haben uns dann Leute aus dem Umfeld von OX- und Punkerknacker-Fanzine weitergeholfen.
B.B.B: CDs sind etwas für Sammler und wenn man eine CD anbietet, sollte man auch drumherum was Tolles anbieten. Nicht nur ´ne Hülle mit Cover und Tonträger. Dann lade ich mir lieber die Musik umsonst runter und den meisten anderen wird es wohl genauso gehen. Also haben wir überlegt, was eine interessante Ergänzung für den Fan und Sammler sein könnte. Und das ist das Ergebnis.
8. Schon mal daran gedacht, eine „musikalische Lesereise“ zu veranstalten?
J.B.: Bloss nicht! Bisher haben es ja nochnichtmal die Hälfte der Literaten und Zeichner zu unseren Konzerten geschafft, obwohl sie ausdrücklich ihr Erscheinen angekündigt hatten. Wie soll es da jemand schaffen 25 von denen auf einen Haufen und in einem Tourbus zu versammeln? Eher putzt Günther Grass die Klos im SO36.
B.B.B.: ...und wir selber als Vorleser? Vorraussetzung für sowas wäre ja erstmal das Lesen bzw. Vorlesen ausreichend zu beherrschen und für mich kommt das nicht in Frage, haha! Reisen finde ich aber prinzipiell toll. Vielleicht würde ich dafür sogar Vorlesen üben.
9. Wenn man „Entertainment Overkill“ als Gesamtkunstwerk betrachtet, kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass ihr mit dieser CD möglicherweise selbst ein Teil dieses von euch angeprangerten „Systems“ seid. Wie begegnet ihr diesem Vorwurf?
J.B.: Wir sind Kultur! Keine Action-News und Quatsch-Entertainment, kein Sponsoring durch Telekom, BMW und O2, nur gefördert durch einen "Kulturtopf für neue Musik". Und die Tipps und Kurzgeschichten im Booklet enthalten auch noch ein paar nützliche Hinweise zum Weiterstöbern in Büchereien und Videotheken

Interview: Sven Dehoust - 18.06.2009

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